Gewinnertext 6 - Schulen

"Ich lasse mich zurück in die Kissen sinken und verdrehe die Augen.

 

'Manchmal vermisse ich die Zeit, als du die Nachrichten leise und ohne irgendwelche Unverschämtheiten auf deinem Bildschirm angezeigt hast', grummele ich.

 

'Dafür liebst du mich, Boss. Und jetzt mach dich endlich fertig.'

 

'Jaja', stöhne ich. 'Dann musst du aber ruhig sein. Offiziell bist du nur eine normale Armbanduhr, und die redet nicht.'"

Happy Birthday

von: Catharina S., 14 Jahre

 

 

Ich liege im hohen Gras. Um mich herum wachsen Blumen und Bienen schwirren herum.

 

Ich atme tief ein. Es riecht gut hier. Alles ist friedlich und ruhig, wie in einem Traum …

 

„... wach ...“

 

Hä? Was? Woher kommt diese Stimme?

 

„..fwachen, ...“

 

Ich seufze tief, als mir die Situation klar wird. Mir bleiben nur noch wenige Sekunden, bevor …

 

„AUFWACHEN, BOSS!“

 

… ich abrupt aus meinem wohlverdienten Schönheitsschlaf gerissen werde.

 

Ich drehe mich um und werfe einen finsteren (wenn auch noch etwas verschlafenen) Blick auf meine eigensinnige Armbanduhr – beziehungsweise Sydney.

 

„War das wirklich nötig?“

 

„Ich als dein smarter Begleiter durch die Zeit sehe es als meine Aufgabe an, dich daran zu erinnern, dass heute sowohl das Ziel deiner ersten Reise als auch dein fünfzehnter Geburtstag ist. Also krieg deinen Allerwertesten hoch und geh deine Geschenke auspacken, Boss.“

 

Ich lasse mich zurück in die Kissen sinken und verdrehe die Augen.

 

„Manchmal vermisse ich die Zeit, als du die Nachrichten leise und ohne irgendwelche Unverschämtheiten auf deinem Bildschirm angezeigt hast“, grummele ich.

 

„Dafür liebst du mich, Boss. Und jetzt mach dich endlich fertig.“

 

„Jaja“, stöhne ich. „Dann musst du aber ruhig sein. Offiziell bist du nur eine normale Armbanduhr, und die redet nicht.“

 

Als Antwort erhalte ich einen kurzen Piepton mitsamt der Mitteilung, dass mein, ich zitiere: „unfassbar intelligentes und absolut unverzichtbares Gerät jetzt leider stummgeschaltet ist.“

 

Ich verdrehe noch einmal die Augen und stürze mich dann in den ständigen Kampf mit meinen schulterlangen, dunklen Locken und den eher seltenen mit der Auswahl meiner Kleidung – hey, schließlich ist heute mein Geburtstag, da darf ich wohl mal eine Schippe drauflegen.

 

 

 

Danach renne ich nach unten ins Wohnzimmer – nur um vor der Tür von meiner Mutter gestoppt zu werden. Sie lächelt und umarmt mich fest. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Süße. Ich kann gar nicht glauben, dass du schon fünfzehn Jahre alt wirst!“

 

Dann tritt sie einen Schritt zurück und hebt scherzhaft ihren Zeigefinger. „Aber ins Wohnzimmer darfst du trotzdem erst, wenn deine Großeltern da sind. Du willst ihnen doch nicht den Spaß verderben, dir beim Geschenkeauspacken zuzusehen, Olivia!“

 

Ich muss lachen. Manchmal glaube ich echt, dass sich meine Familie mehr auf meinen Geburtstag freut als ich!

 

 

 

Der Rest des Vormittags vergeht schnell. Um elf kommen Oma und Opa mit ihren Geschenken und dem jährlichen Schokokuchen, und ich darf endlich ins Wohnzimmer. Ich freue mich, dass sie kommen konnten – letztes Jahr wäre es bei Opas Gesundheitszustand zusammen mit Corona viel zu gefährlich gewesen, außerdem sind die Gesundheitsbeschränkungen auch erst anderthalb Monate lang wieder aufgehoben.

 

Meine Geschenke dieses Jahr sind ganz gut. Ein bisschen Makeup, eine hübsche Kette und ein paar Bücher. Alles in allem nichts Besonderes. Aber das ist ja auch nicht alles – heute Nachmittag kommen meine besten Freunde vorbei, mit denen ich dann die erste richtige Party meines Lebens feiern werde! Mit ihnen wird das super.

 

An meinem vierzehnten Geburtstag, als Corona gerade erst nach Deutschland gekommen war, durfte ich gar nicht feiern. Geht ja auch schlecht, wenn man von allen zwei Meter Abstand halten muss. Aber meine Freunde, dieser kleine, durchgeknallte, liebenswerte Haufen Menschen, sind vor einem Jahr einfach mit Picknickdecken, Geschenken und einem Kuchen in meinen Garten spaziert und haben für mich eine Geburtstagsparty mit Sicherheitsabstand veranstaltet. Auch dieses Jahr wollten sie mich nicht an die Planung lassen, aber ich darf sie wieder für ihre Mühe umarmen, und das reicht mir.

 

Mira kommt als Erste, danach Jessie und Caroline, wie immer im Doppelpack, gefolgt von Klara und Eliza. Ganz am Ende kommt noch Isabel auf ihrem Fahrrad angeradelt – gerade noch pünktlich.

 

„Hey Izzy! Wir dachten schon, du kommst nicht mehr!“, ruft Klara.

 

„Du auf dem Fahrrad, dachte nicht, dass ich das nochmal zu Gesicht bekomme“, necke ich sie und lege freundschaftlich meinen Arm um ihre Schultern.

 

„Jaah, 2020 hat mich ganz schön zum Nachdenken gebracht. Es ist irgendwie traurig, dass wir erst eine weltweite Pandemie brauchten, um der Umwelt eine Pause zu geben, und jetzt machen viele Leute genauso weiter wie vorher. Wir haben jetzt zwar einen Impfstoff und ein Gegenmittel, aber der Klimawandel ist dabei vollkommen in Vergessenheit geraten. Deswegen will ich das jetzt ein bisschen besser machen.“

 

Sie wirkt ernst, aber bevor ich etwas sagen kann, hängt sich Mira von hinten an uns dran. „Also nicht, dass ich dir da nicht zustimme, aber wir sind zum Feiern hier, nicht zum Philosophieren!“

 

Damit schnappt sie sich die Hand ihrer Freundin und läuft mit ihr in den Garten zum Buffet.

 

„Sie wird sich nie ändern, was?“, seufzt Caroline kopfschüttelnd.

 

Jessie grinst. „Nein“, antwortet sie, „aber sie hat recht. Wir wollen doch schließlich nicht, dass die Eltern unserer kleinen Olive hier das alles umsonst aufgebaut haben, oder?“

 

„Hey! Ich bin immerhin 1 Meter 63 groß!“, grummele ich und verziehe meine Lippen zu einem übertriebenen Schmollmund. Meine Freundinnen ziehen mich noch ein bisschen mit meiner selbstverständlich perfekten Größe auf, bevor sie mich unsanft hochheben lassen und mich immer noch lachend in den Garten tragen, wo Mira und Izzy uns mit einem schiefen „Happy Birthday“-Duett begrüßen.

 

Ich hätte keine besseren Freunde finden können.

 

 

Gegen neunzehn Uhr, als ich meinen Freunden beim Tanzen zusehe, piept Sydney leise.

 

„Schau mal aufs Dach, Boss!“, lese ich.

 

Ich lächele und schaue nach oben, um mir das Mädchen neben meinem Zimmerfenster anzusehen. Als sich unsere Blicke kreuzen, kann ich sehen, dass sie lächelt. Sie bewegt die Lippen, murmelt zu sich selbst diese hoffnungsvollen, glücklichen Worte, an die ich mich heute noch erinnere.

 

Ich gucke zu, wie von ihrer noch namenlosen, unpersönlichen Armbanduhr ein sanftes Licht ausgeht, das sie langsam wie ein Schutzschild einhüllt, bis es sich plötzlich zu einem nadelstichgroßen Pünktchen zusammenzieht und das Mädchen mit sich nimmt, damit sie diese Reise, diese Zeit, die ich schon mitgemacht habe, selbst erleben kann.

 

Wieder kommt ein leises Piepen von meinem Handgelenk.

 

„Jetzt geh zurück zu deinen Freunden, feiere deinen Geburtstag zu Ende, und freu dich an der noch ungewissen Zukunft, Boss :)“, steht auf Sydneys Bildschirm.

 

Und genau das tue ich.

 

 

 

Auf dem Dach, ungesehen von den Feiernden, sitzt ein Mädchen. Sie streicht sich die kinnlangen, dunklen Locken aus dem Gesicht – einem Gesicht, das nur ein wenig jünger wirkt als das der Jugendlichen, die heute fünfzehn geworden ist.

 

Auf ihrer Armbanduhr blinkt eine Nachricht auf.

 

„Die Leistung Ihres Gerätes lässt nach. Wir bitten Sie, schnellstmöglichst in ihre Zeit zurückzukehren.“

 

Das Mädchen seufzt, und drückt den Knopf auf ihrer Uhr, der sie zurückbringt.

 

„Rückreisevorgang eingeleitet.“

 

Sie blickt noch einmal nach unten, in das dem ihren so sehr ähnelndem Gesicht des Geburtstagskindes. Als sich ihre identischen Augen treffen, lächelt sie.

 

„Scheint so, als würde bald eine gute Zeit anfangen.“